Da ist sie nun, die Datenbrille von Google. Augmented Reality wird real. Zwar ist Google Glass noch nicht im Handel, aber die Auslieferung eines Modells für Entwickler hat begonnen. Die endgültige Marktreife kann also nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Brille polarisiert bereits sehr. Wird bald jeder jeden beim ansehen filmen? Ist das das endgültige Ende der Privatsphäre? Die totale Überwachung durch Google? Oder ist es ein unglaublich praktisches Gadget, das bald nicht mehr weg zu denken ist?
Was ist Google Glass eigentlich?
Google Glass ist die Datenbrille von Google. Das kann man sich so vorstellen: Eine Brille mit einem integrierten Bildschirm, oder eher, einem Head-up-Display. Auf diesem kann man sich Informationen über die Umgebung anzeigen lassen, den MP3-Player bedienen, Navigationssoftware anzeigen lassen SMS oder Emails lesen. Klingt ziemlich praktisch.
Wer sich jetzt fragt, wie ein Bildschirm in einer Brille denn so nah am Auge lesbar sein soll, der sollte sich mit der Head-up-Technologie beschäftigen. Die Brille arbeitet mit einer Art Projektor und nutzt die Lichtbrechung des Glases. Dadurch ist es möglich, Informationen so darzustellen als wäre der Bildschirm weiter weg. Eigentlich wird das Auge schlicht hinters Licht geführt.
Technisch ist das sicherlich brilliant. Zumal zum Musikhören keine Kopfhörer mehr gebraucht werden. Glass arbeitet mit einer Technologie, die sich Knochenschallkopfhörer nennt. Dabei werden die Töne über den Knochen übertragen. Theoretisch kann man so auch laut Musik hören, ohne dass die Umwelt irgendetwas davon mitbekommt.
Und wie soll ich das bedienen?
Ganz einfach: Die Brille hört aufs Wort. Aber nicht nur Sprachbefehle sind möglich, sondern man kann die Software auch mit einem in den Bügel eingearbeitetem Touchpad bedienen. Um den vollen Funktionsumfang nutzen zu können, sollte man allerdings auch ein Android-Smartphone besitzen, auf dem mindestens Version 4.0.3 läuft. Ansonsten steht beispielsweise GPS nicht zur Verfügung. Wer das nicht braucht, der benötigt lediglich ein beliebiges Smartphone mit Bluetooth-Unterstützung.
Da die verteilte Version von Glass für Entwickler gedacht und auch die benötigte Programmierschnittstelle freigegeben ist, sollte es zum offiziellen Verkaufsstart der Endfassung bereits eine Vielzahl praktischer Apps für Glass geben.
Wofür soll ich das brauchen?
Nun ganz einfach, es gibt eine Menge Vorteile. Die Navigation zu Fuß oder auf dem Fahrrad wird bedeutend erleichtert, wenn man die Route direkt im Blickfeld hat. Damit kann man den Weg und gleichzeitig die komplette Umgebung sehen, was bei Navigation per Smartphone nicht möglich ist. Jogger könnten damit immer neue Trainingsrouten im Blick haben und sich weitere Informationen anzeigen lassen wie die gelaufene Strecke, Geschwindigkeiten und so weiter.
Touristen können sich besser orientieren und sich Informationen über Sehenswürdigkeiten anzeigen lassen. Oder man sieht ein Plakat der Tournee eines Künstlers und kann nur durch Ansehen und wenige Aktionen direkt Tickets dafür bestellen. Nur durch Sehen? Ja, denn die Brille verfügt über eine integrierte Kamera. Damit kann man auch Bilder und Videos aufnehmen. Man muss nicht mehr sein Handy zücken, sondern knipst einfach direkt was man sieht. Cooler Moment auf ner Party? Ansehen und direkt bei Facebook hochladen, kein Problem.
Das ist sicherlich nur ein Teil der Möglichkeiten die einem Glass bietet. Was man am Ende so wirklich alles noch damit anstellen kann wird sich zeigen, wenn sie auf dem Markt angekommen ist.
Was soll daran jetzt schlimm sein?
Ich schrieb, dass die Brille polarisiert. Einige lieben sie, andere verteufeln sie bereits und schieben regelrechte Hasstiraden gegen Google und Leute, die vorhaben, sich dieses Produkt zu kaufen. Aber warum? Der Hauptgrund ist die integrierte Kamera. Diese ist nötig, damit die Software auch weiß, wo man ist und was man gerade tut. So kann man zum Beispiel ein Produkt oder ein Denkmal ansehen und die Brille fragen, was genau das eigentlich ist. Daraufhin sucht die Brille im Internet und zeigt beispielsweise die Wikipedia-Seite über den Kölner Dom an.
Aber nicht nur dafür ist die Kamera gedacht, der Punkt der die Gemüter am meisten erregt ist er, dass sie auch Fotos und Videos aufnehmen kann. Überall, ohne, dass man darüber z. B. durch eine leuchtende LED informiert wird. Auch das Bild ist nur für den Träger sichtbar. Nun wird die allgemeine Volkskontrolle vermutet in der jeder jeden jederzeit überwachen kann.
Jeder ist also überall und jederzeit geheim fotografier- und filmbar. Für viele Menschen eine Horrorvision, da sie jede ihrer Schritte bereits verfolgt und online gestellt sehen, egal was, wann und wo sie etwas tun. Da ist natürlich etwas dran, zumal Glass neben Smartphone, Touchpad und Sprachsteuerung auch die wichtigsten Kommandos durch bestimmte leichte Kopfbewegungen ausführen kann. Der Paranoide fragt sich dann ständig: „Hat der gerade nur geniest, oder hat der ein Foto von mir aufgenommen oder die Videoaufnahme gestartet?“. Selbstverständlich wird dieses Video dann auch sofort auf Youtube hochgeladen oder eine unpassende Äußerung direkt dem Arbeitgeber gemailt.
Der Mensch als Glassgoogle?
Das Wortspiel konnte ich mir nicht verkneifen. Immer wieder fürchten sich die Menschen vor totaler Überwachung. Niemand braucht so etwas. Natürlich, totale Überwachung ist auch etwas schlimmes. Aber wann haben wir das denn mal nicht befürchtet, als die Technik der Informationsgesellschaft immer weiter fortschritt?
Die Erfindung des Handys wurde schon als das Ende der Privatsphäre betrachtet, denn die allzeitige Erreichbarkeit macht einen zum Telefonsklaven ohne Ruhe. Und wie war das, als die Digitalkameras kamen? Kleine Geräte, mit denen man auch versteckt Bilder machen kann. Den großen Fotoapparat hat man ja wenigstens noch gesehen und der Film war begrenzt. Aber jetzt kann ich überall ohne mein Wissen aufgenommen werden.
Und wie schlimm war es denn bitte schön, als die beiden Dinger auch noch kombiniert wurden? Mit dem Einzug des mobilen Breitbandes war dann schlussendlich der Untergang des Abendlandes besiegelt. Jeder von uns wird von jedem dauerhaft überwacht, immer und zu jeder Zeit. Ich hoffe die Ironie ist deutlich geworden.
Glass ändert gar nichts
Alles was Glass kann gibt es schon lange. Es ändert sich nichts. Natürlich stimmt der Einwand, dass man sich nun noch unsicherer sein kann, ob man grad aufgenommen wird oder nicht. Wenn jemand ein Handy auf einen richtet, ist das wenigstens ein Anhaltspunkt, dass es momentan passieren könnte. Aber das kann man auch heimlich machen. Spion-Kameras, Krawattenkameras, Knopfkameras und ähnliches gibt es an jeder Ecke zu kaufen und diese erfüllen tatsächlich nur den Zweck der heimlichen Videoaufnahme. Wo bleibt die Empörung und wo sind die brennenden Paläste derjenigen, die sich das haben einfallen lassen? Und was ist an Glass schlimmer als an anderen Brillen mit Kamera?
Es ist alles heiße Luft. Glass hat extreme Vorteile und sehr nützliche Funktionen. Wer sich über die Datensammelei von Google aufregt und einen Protest über sein Android-Phone irgendwo postet, der soll die Situation mal zu Ende denken. Glass ändert nichts daran.
Schlussgedanken zur gesellschaftlichen Anpassung
Jede neue Technologie ändert die Gesellschaft, das ist schlichtweg Fakt. Unser Leben hat sich durch den Fernseher verändert, durch Handys, Smartphones und das Internet. Wie passt Glass in diese Reihe? Eigentlich ist die Brille ja nur Smartphonezubehör. Aber einen Meter weiter gedacht: Was passiert, wenn auch Glass wie ein Smartphone Standard wird?
Die Informationsgesellschaft wird endgültig in den Köpfen ankommen, wortwörtlich. Man weiß nicht mehr, was der Andere gerade tut. Holt er Informationen über mich ein? Hört der mir eigentlich zu oder hört der Musik? Sucht der gerade nach Gegenargumenten für das, was ich ihm erzähle? Oder macht er einfach nur das was ich auch sehe?
Aber das machen die Menschen unter sich aus. Die Regierung wird aber auf jeden Fall gezwungen sein, weitere Regeln aufzustellen. Eventuell klappt das ja irgendwann einmal, dass sich Menschen mit Ahnung von Technik mit der Gesetzgebung beschäftigen. Denkbar ist ein Verbot von Glass in den Schulen. Smartphones sind ja bereits manchmal grenzwertig, da das Spielen mit dem Smartphone unter der Bank im Unterricht den Fokus vom Lehrstoff komplett ablenkt. Mit Glass kann man problemlos im Unterricht Filme schauen, ohne dass der Lehrer das auch nur ahnen kann.
Und wie sieht es aus mit Versicherungen? Ein Glass-Träger ist in einen Autounfall verwickelt. Wie soll man nun nachweisen, dass er die Brille als Navigationsgerät benutzt hat und nicht etwa durch einen Film oder eine Email abgelenkt war? Natürlich ist es sicherer mit Glass zu navigieren, als seinen Blick ständig von der Straße aufs Navi zu lenken. Das senkt das Unfallrisiko. Allerdings steigt es, wenn man sich durch andere Anwendungen ablenken lässt. Ein schwieriges Thema.
Es wird viel passieren und viel auf uns zukommen. Glass wird sich verbreiten, da es einfach unglaubliche Vorteile bringen kann. Wie sich das Produkt auf Gesellschaft und Rechtsprechung auswirken wird, kann auch nur die Zeit zeigen. Eine Glassgoogle hat schließlich niemand.
Ein Gedanke zu “Google Glass und die rosarote Brille”